Analogdenken ist digital

„Analog unterwegs zu sein, ist heutzutage ein Luxus, den sich keiner mehr gönnt.“ #Vielfaltswerkstatt #Digitalisierung #ZukunftderArbeit

— Charta der Vielfalt (@ChartaVielfalt) 6. Juli 2016

Vielleicht lese ich diesen Tweet falsch, aber wenn er das Analoge dem Digitalen als eine Alternative gegenüberstellt, bei der man sich nur zwischen dem Einen oder dem Anderen entscheiden kann, dann steckt dahinter eine digitale Logik. Eine Logik von Nullen und Einsen, von Ein und Aus, von Ja oder Nein. (also steckt dahinter definitiv kein Jein). (Ausschließliches) Analogdenken ist dann digital.

Paul Watzlawick hat diese Logik mal schön in „Vom Schlechten des Guten: Oder Hekates Lösungen“ ausgeführt. Er schildert dort nicht nur, dass immer mehr das Gleichen Guten nicht zwingend weiterhin zu etwas Gutem führt, sondern beschreibt auch das Problem des „tertium non datur“. Diese Logik erlaubt kein drittes, es ist etwas oder es ist nicht (kurz gesagt). Das ist digital. Bei Watzlawick ist das schön dargestellt am Beispiel eines Schildes auf einem Rasen, auf dem Schild steht „Rasen betreten verboten“. Übliche Schlussfolgerung: Ich kann mich an das Gebot halten oder nicht. Ja oder Nein. Aber: Ich könnte auch einfach feststellen, dass der Rasen schön ist (sagt Watzlawick). Oder ich könnte – so wie die Aktionskünstlerin (korrekte Bezeichnung?) Barbara, das Schild verschönern. Das wäre ein drittes und viertes mögliches Verhalten zur Situation.

Vom Kern her ähnliches führt das David Foster Wallace in seiner Rede „This is Water“ aus (auf die ich dank Christian Spannagel mal gestoßen bin).

Und zur kompletten Verwirrung und damit aber auch zur Möglichkeit, sich bewusst und frei zu der Frage nach Digital und Analog zu verhalten hier noch mal der Text von Kathrin Passig und Aleks Scholz, den ich schon beim Post zur Blogparade von Oliver Tacke verlinkt hatte: Schlamm und Brei und Bits. Oder Warum es die Digitalisierung nicht gibt.

Disclaimer: Je nachdem, aus welcher Perspektive ich blicke, gilt das tertium non datur schon….Und mit Blick auf den Tweet-Absender: Vielfalt halte ich für einen wichtigen Wert, aus vielen Gründen.

Ostern

Aus österlichem Anlass mal was ganz anderes:

Ein Blick auf Pontius Pilatus, den Michail Bulgakow 1928 in seinem wahnwitzig, obskuren und mitreißendem Roman „Der Meister und Margarita“ geworfen hat. Ich möchte hier gar nicht eingehen auf die Bezüge zu Faust, auf die wie selbstverständlich durch Moskau schreitende sprechende Katze oder den teuflischen Magier, der den Moskauern ihre moralische Verkommenheit in einer entblößenden Theatervorstellung vorführt.

Dafür kurz zu dem im Roman enthaltenen historischen Roman über Pontius Pilatus, welcher den Verfasser, den Meister (siehe Titel) in die Irrenanstalt bringt.

Zur Zeit der Kreuzigung Jesu ist Pilatus gefangen von politischen Machtstrukturen und der Einsamkeit als ein Herrscher, der die von ihm zu befriedende Provinz hasst und danach giert, einen Menschen zu finden, der seine Migräne und sein Leiden an der Welt lindert. So treffen Jesus und Pontius Pilatus zusammen.

Ein psychologischer Blick auf einen verzweifelten Täter, der um die Ruhe seiner Provinz besorgt, ganze Heerscharen von Reitern zur Kreuzigung aufbrechen lässt. In sengender Hitze bewachen die dann einen nahezu leeren Hügel.

Niemand hatte versucht, den Verurteilten zu befreien, weder in Jerschalaim, das von Truppen überschwemmt war, noch hier auf dem abgesperrten Hügel, und die Menge war in die Stadt zurückgekehrt, denn diese Hinrichtung war wirklich langweilig…

Nur ein Jünger (Levi Matthäus) hat sich – mit einem beim Bäcker gestohlenen Brotmesser in der Hand um Jesus zu erlösen, jedoch zu spät zum Eingreifen – im Schatten des Kreuzes eingefunden und kauert verloren in der Steinwüste.

Pilates dagegen träumt bis zu seinem Tod von nichts anderem, als von einem Wiedersehen mit dem aus seiner Sicht seelenverwandten Jesus.

Felicitas Hoppe lobt diesen (von ihr 3x gelesenen) Roman überschwänglich:

Der Roman erweist sich als fliegender Ritt durch den Wahnsinn, in dem er den Versuch einer gewaltsamen Abschaffung jeder Transzendenz anhand einer literarisch meisterhaft gestalteten Pilatusgeschichte mit der Passionsgeschichte Christi und der großen Anmaßung aller menschlichen Gerichtsbarkeit konterkariert: «Dieser Verbrecher (Pilatus über Jesus, F.H.) nennt mich ‹Guter Mensch›. Führen Sie ihn für einen Moment hinweg, und erklären Sie ihm, wie man mit mir zu reden hat. Aber schlagen Sie ihn nicht zum Krüppel.»

Soweit der österliche Ausflug in einen spannenden Roman.
Allen ein frohes Fest!
Demnächst hier auch mal wieder was zum Thema eLearning, Wissenschaft, Hochschule…versprochen. 😉

P.S. Zu diesem Roman gab es übrigens auch eine Aufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus.

Tocotronic in Düsseldorf mit goldenen Worten

Ich war wirklich skeptisch: Das aktuelle Album „Schall und Wahn“ von Tocotronic klang in meinen Ohren zu brav, eher nach Songwriter, denn nach Rock und e-gitarren-gestütztem Widerstandsdiskurs. Zugegeben, die erste Single-Auskopplung „Macht es nicht selbst“ hatte noch was, u.a. auch einen Seitenhieb auf „Heim- und Netzwerkerei“.

Trotzdem war die Freude auf das Konzert gestern im Düsseldorfer Zakk mehr als getrübt.

Völlig zu Unrecht: Es gab Stadion-Rock auf kleinstem, intimen Raum. Die Gitarren wurden auch bei den neuen Stücken bis zum Ende ausgereizt, Dirk verneigte und reckte sich elegant ironisch in allen möglichen Posen. Gleich beim ersten Stück Saite gerissen bei Rick. Kurz Zeit nehmen zum Stimmen.

Dann jeder Song mit voller Wucht in die Halle gepresst, oft ohne Übergang in den nächsten hineinverzerrt. Wenn Dirk Songs einleitete, dann mit Worten wie diesen: „Reckt die linke Hand, ballt sie zur Faust und sprecht goldene Worte…!“ Was folgte war „Aber hier leben, nein danke“. Poetische Absage an die Anerkennung des Daseins.

Später „Let there be rock“ im Gesang so verlangsamt, dass es eines noch mehr wird: Hymne. Am Ende der zweiten Zugabe verlässt die Band die Bühne, Dirks Gitarre aber liegt einsam auf dem Verstärker und heult vor sich hin.

gute-Laune-Musik

Nach dem Melt-Festival jetzt mal wieder ausgegraben:

James Yuill, bei dem Musik und Video einfach melancholisch, fröhlich die Alltäglichkeiten des Lebens feiern. Ich sach nur „Käse schneiden, joggen, ins Käsebrot reinbeissen“. Einfach anschauen.

Erinnert mich irgendwie auch an den famosen Peter Licht (hier seine Web 1.0-Homepage) von dem ein neues Album auch mal wieder für große Freude sorgen würde.

Toco-Source statt Open Source Festival

Schaurig düster ging’s zu. Mit den Worten „Preiset Satan“ schickte Dirk von Tocotronic die Fans beim Düsseldorfer Open Source Festival in den Song „Let there be Rock“. Die Bühne vor der poshen Kulisse der Düsseldorfer Pferderennbahn in undurchsichtigen Nebel gehüllt. Begonnen hatte er mit dem Versprechen: „Time to party“ und den ersten Text-Zeilen:“Ich weiß nicht, wieso ich euch so hasse…“ – auch ein schöner Anfang für ein Konzert. Tocotronic mit dem Hauch von Metal.

Revolte lohnt sich also noch, wenn es nach den Musikern aus Hamburg geht: „Wir wollen Teil der Lösung sein und nicht des Problems“ rief Dirk völlig außer Atem von seinem Gesang als Einleitung zu „Verschwör dich gegen dich“. Ein Gesang, der verglichen zu den Studio-Aufnahmen extrem melodisch und unerwartet geriet. Grandioser Auftritt. Die Gitarren liefen heiß – wenn auch für meine Begriffe etwas zu undynamisch voneinander abgegrenzt. Und wenn man dann auch noch zum Mitskandieren von „Aber hier leben, nein danke“ aufgerufen wird, ist der Abend perfekt.

Leider war vorher auf dem Open Source ,im Gegensatz zu dem Festival vor zwei Jahren (damals dabei Mouse on Mars, Zoot-Woman, Phoneheads) wirklich tote Hose. Dieses mal war die Musik war völlig unspannend. „Stabile Elite“ hatten genau einen guten Song, dass sie zwischendurch „Düsseldorf. Düsseldorf“ riefen, machte den Auftritt auch nicht besser (sympathisch unkommerziell dagegen: „Unsere Platte ist bis heute leider nicht fertig geworden, ihr könnt sie ja dann später kaufen“). Der Gesang bei „Er France“ war eher schräg als schön, „Musiccargo“ hat wohl zu viel Westernhagen und Heinz Rudolf Kunze gehört, ihr Schrei nach Liebe tat einfach nur weh. Penelopes Reggae-Mix auf der kleinen Carhartt-Bühne hatte was, wurde aber auch schnell eintönig. Und die Young-Talents-Bühne im Container war definitiv zu klein. Stimmung also allgemein so wie im Bild (nach dem ersten und einzigen Regenschauer).

Nur noch „The Streets“ boten zumindest etwas Konzert-Atmosphäre – musikalisch aber nicht ganz mein Ding. Und der Veranstaltungsort nervte mit seinem versnobbten Düsseldorf-Image – die Stände der kleinen Düsseldorfer Mode-Inn-Läden halfen da leider nicht wirklich.

Vorschlag: Wenn schon auf der Rennbahn, dann die Örtlichkeit ironisch brechen und hier Sekt und Erdbeeren anbieten, vielleicht sogar mit vorgeschriebener Garderobe. So war es ein seltsames Mischmasch – wer Golfer beobachten wollte, die in einiger Entfernung hinter der Hauptbühne ihre Bälle schlugen konnte selbst das tun! Einen ersten Eindruck der Möglichkeiten in dieser Richtung lieferte das blutige Open Horse Festival Poster (ein in der Mitte durchgeschnittenes Pop-Art-Pferd), das wir an einem Stand unbedingt kaufen mussten.

Deshalb noch mal: Großer Dank an Tocotronic. Schade, dass die Zugabe so kurz war.

Melt-Festival – Singing Transformers

Tom Meighan von Kasabian brachte es beim Melt!-Festival auf den Punkt: „Sing Transformers“ rief er in die euphorische Menge.

Die großen Bagger des ehemaligen Tagebaus auf dem Ferropolis-Gelände sind wirklich eine weitere Stimme, die zu der atemberaubende Atmosphäre beiträgt, wenn die Bagger bläulich erstrahlen oder mit einem schwarz-weißen Punktemuster aus Licht überzogen werden.

Die Stimmung war bestens, auch wenn wir von Freitag auf Samstag Angst hatten, unser Zelt würde sich himmelwärts – im wahrsten Sinne – vom Acker machen. Auch das vegetarische und Bio-Essen war vorzüglich. Leider waren die Trink-Kokosnüsse aus, bevor ich mir eine geschnappt hatte.

Musikalisch?

  • Einfach großartig nerdig, tanzbar und geniale Mischung: James Yuill. Er zog irgendwann unvermittelt sein Handy aus der Hosentasche und machte ein Foto seiner Fans, weil es so viele waren :-). Wie ein kleines Kind freute er sich über die 15 Minuten weitere Bühnenzeit, die ihm unvermittelt eingeräumt wurden. Solche Musikerfreuden sieht man gerne.
  • Schon in Köln beim electronic-beats gesehen, wieder überzeugt, besonders auch von den massiv aggressiv vorstoßenden Bewegungen zum Beat: Filthy Dukes.
  • Dagegen fingen Gossip nicht nur 15 Minuten (ja recht wenig, aber dafür umso heißer erwartet) an, sondern waren auf der kleinen Gemini-Bühne auch definitiv falsch besetzt. Meiner Ansicht nach auch sonst ein unerwartet schwacher, wenig mitreißender Auftritt – die ruhen sich doch nicht etwa auf ihrem Ruf aus? In Köln hatte Beth Ditto zunächst noch ohne Verstärkung singen müssen, weil es Probleme mit den Boxen gab. Das E-Werk beschallte sie ohne Mikro mit sichtbarem Einsatz.
  • Mein absolutes Highlight aber waren The Whitest Boy Alive. Perfekte Show, das Publikum einbindend, elektronische Reggae-Mixes und ein (gefühlt) paar-minütiges Freeze auf der Bühne.
  • Oasis wurden dann erst mit den Ohrwurm-Klassikern wie Wonderwall etc. richtig gut, ansonsten so, wie es die Intro genau richtig beschreibt:

Bei Oasis gab’s dann nämlich wie gewohnt „Futtern wie bei Muttern“, in der ihnen so eigenen Attitüde: „Hier sind unsere Hymnen, macht was drauß [sic!]!“ Oder eben auch nicht.

Leider verpasst…aber immerhin haben Freunde davon berichtet und eigentlich hat das auch wieder eLearning/Web 2.0-Bezug, also nach dem Mott „vom Consumer zum Prosumer (Producer und Consumer)“:

Und was ich mich immer noch Frage: Warum hat die Rückfahrt über die A9, A38, A44 so verdammt lange gedauert…?

Nine Inch Nails – Philipshalle Düsseldorf

Das wichtigste vorweg, für alle Nicht-Fans von Nine Inch Nails (NIN): Johnny Cash hat nicht „Hurt“ geschrieben. Das Original ist von NIN. Wusste ich vor dem Konzert in der Philpshalle schon, aber bis dato dachte ich noch, die Cash-Version sei auch vertretbar. (Es gibt übrigens auch eine Gruppe bei Facebook, die so heißt: „Johnny Cash did not write hurt“.)

Wer aber live erlebt hat, wie Trent Reznor mit einer unterdrückten Wut, gepresster Stimme und einer verletzten Zärtlichkeit sein „Hurt“ singt, der mag Cashs Version nicht mehr hören. Überzeugt Euch selbst hier:

Nine Inch Nails – Hurt in Düsseldorf

Überhaupt die perfekte Mischung: Heulende Gitarren zum Anfang, verbunden mit einem Auftritt, der wie nebenbei erscheint. Das Licht gleichzeitig minimalistisch und in industrieller Serienaufhängung, dass es mal knallt, dann wieder leise unterstreicht.

Viel mehr kann ich gar nicht dazu sagen: Es war einfach genial, wie elektronische Synthie-Klänge verzerrte Symbiosen mit Kontrabass, konzentriert (ernsthaft ironisch) gespieltem Xylophon und dem Vollklang eines Klaviers eingingen. Schmerz und Leichtigkeit.

P.S. Bin mir nicht sicher, ob es sinnvoll ist, in ein und dem selben Blog über Studium + Lehre sowie Kultur zu schreiben (neue Rubrik Kulturbeutel). Wird sich herausstellen…