In der Ausgabe vom 9.7.2013 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung findet sich ein umfangreiches Interview mit der Bildungsministerin Johanna Wanka (leider nicht online). Es geht um ihre Zeit in der DDR, Pragmatismus und Anpassung, die Rolle ihrer Mutter und ihres Vaters und um die Wende. Das liest sich soweit alles ganz interessant und auch die Fragen der interviewenden Journalisten sind m.E. ganz gut gelungen. Am Ende aber folgt ein Absatz, wo ich mir dachte: Was ist denn jetzt passiert? Da wird Wanka mit einer Aussage wiedergegeben, die man ohne weiteren Kontext nicht verstehen kann (oder zumindest ich nicht). Wäre da nicht mal Nachfragen angesagt, liebe Journalisten? Ist das kein authorisiertes Interview, wo eventuelle Unklarheiten noch mal entdeckt hätten werden können? Jedenfalls steht da schwarz auf weiß:
Frau Schavan hat ihr Amt aufgeben, weil ihre Universität ihr den Doktortitel aberkannt hat. War der Rücktritt unvermeidlich?
Als die Kanzlerin mit mir sprach, habe ich als Erstes gefragt: Gibt es keinen Ausweg? Es ist unendlich traurig, und ich finde es entsetzlich und absolut ungerecht. Eigentlich ist die ganze Sache nicht zu verstehen. Es ist das, was ich in der Politik schlimm finde: dass man so behandelt werden kann.
Wenn ich mich recht entsinne, war doch ein Grund für den Rücktritt, dass eine amtierende Bildungsministerien schlecht gegen die in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Hochschule juristisch vorgehen kann. Zumindest argumentiert die Welt u.a so – auch wenn sie ansonsten immer wieder seltsam wiederholt, der Computer habe gesprochen. Aber auch darum geht es mir hier nicht. Denn wie dem auch sei, möchte ich hier gar nicht groß inhaltlich diskutieren, wie es z.B. causa schavan tut. Ich wundere mich nur ehrlich, warum man da als Journalist nicht nachfragt oder als Politikerin für Klarheit sorgt. Oder wer da der Leserschaft warum Raum für Vermutungen gibt. Oder sollte es absichtlich nebulös bleiben, wie in meiner TL vermutet wurde?
@timovt oder ein cleverer Journalist weiß, dass das Zitat allein für mehr Aufregung sorgen könnte. — Anja Lorenz (@anjalorenz) June 10, 2013
Oh das wurde ja mal wieder Zeit: Bloggen nachdem ich gut anderthalb Jahre hier nichts mehr geschrieben habe. Mal schauen ob’s noch geht….Das Backend von Blogger sieht schon mal ganz anders aus, eher wie google-drive. Das sollte aber kein Hindernis sein. Der Anlass: Große Berichterstattung in verschiedenen Medien zum Thema moocs – oder vielleicht doch zum Thema Bildungsexpansion, Einsparmöglichkeiten und mediengestützte Lehre? Jedenfalls verwischt da einiges, das ich versuchen wollte ein wenig (auch für mich) zu sortieren und manches finde ich zumindest diskussionswürdig.
These 1 – Nicht einfach preiswerte Bildung für jeden In der medialen Berichterstattung zu den moocs wird einerseits häufig die Demokratisierung von Bildung ausgeführt, andererseits aber auch zunehmend deutlich, dass kommerzielle Interessen hinter dem Angebot von moocs stehen. Sicherlich ist dies sehr differenziert zu sehen, weil es sehr viele unterschiedliche Modelle von moocs gibt, trotzdem will ich hier mal die m.E. problematischen Aspekte herausgreifen: moocs als Ersatz So schreibt die Zeit, dass die moocs der Elitehochschulen teilweise Grundkurse ersetzen
Staatliche Hochschulen wie etwa die San José University kaufen diese Kurse und ersetzen damit ihre Grundkurse – um mehr Menschen mit akademischer Bildung zu erreichen, die Durchfallquoten zu senken und gleichzeitig Geld zu sparen.
Auch wie Hochschulpräsidenten sich die konkrete Umsetzung vorstellen, weiß die Zeit:
Manch ein Hochschulpräsident denkt daran, wie sich durch die Verlagerung von Vorlesungen ins Netz Kosten für Personal und Räume sparen ließen. Zugleich eröffnen die Mooc neue Einnahmequellen. Die Idee: Unis liefern die Inhalte, private Firmen stellen sie auf ihre Plattformen und beteiligen die Hochschulen an den Erlösen.
Wenn hierbei allerdings allein auf die moocs gesetzt wird (vgl. These 5), frage ich mich, ob die Durchfallquoten tatsächlich gesenkt werden können. Wenn ja, könnte das auch daran liegen, dass Studierende einfach viel zusätzliche Zeit in die Bearbeitung der moocs investieren. Und öffentlich finanzierte Erstellung von Lehr (!) Inhalten dann mit der Unterstützung privater Firmen wieder an Studierende zu verkaufen, klingt in Zeiten von Open-Educational-Ressources vorsichtig gesagt ein wenig weird.
moocs für Bildungsbenachteiligte Immer wieder wird angeführt, dass moocs dazu beitragen können, dass (hochwertige?!) Bildung für alle Personen mit Internetzugang möglich werde. Mit ganz viel Pathos vertritt dies Daphne Koller (@DaphneKoller) in einem TED-Video. Nüchtern auf die Verteilung der TeilnehmerInnen nach Staaten hat dagegen Rolf Schulmeister geschaut: 38,5 % kommen aus den USA und 0,4 % aus Südafrika. Auch in Bezug auf den Bildungsabschluss scheint der Demokratisierungsanspruch nicht erolgreich, wie Philipp Schmidt bei einem Vortrag (@schmidtphi) auf der Internet und Gesellschaft Initiative „Lernen in der digitalen Gesellschaft“ zeigte: 90 % der Befragungsteilnehmenden eines untersuchten coursera-moocs hatten Hochschulabschluss, 10 % sogar einen Dr.
moocs für Bewerbungsdaten Wie die Geschäftsmodelle von moocs aussehen können, weiß die Süddeutsche Zeitung noch nicht („obwohl noch nicht klar ist, wann und wie sie profitabel werden könnten“), ein paar Hinweise gibt aber auch Schulmeister:
Mooc-Betreiber vermitteln über Tests Lernende an Unternehmen (und erhalten dafür vermutlich auch Geld)
Mooc-Betreiber sammeln Daten über das Lernverhalten ggf. auch für zukünftige Arbeitgeber
Weiter führt er aus, wie in ebooks, die amerikanische Hochschulen für ihre Studierende anschaffen, learning analytics betrieben wird – und zwar nicht für die Lehrenden und Lernenden zur Unterstützung des Lernprozesses, sondern für die Verlage.
Welchen Weg iversity, die „[erste] kommerziellen MOOC-Plattform in Deutschland“ (SZ) gehen will, ist mir noch nicht klar.
These 2 – Was schon da ist, wird nicht gesehen und genutzt Die Berichterstattung in den Medien zum Thema moocs schlägt häufig in die Kerbe an deutschen Hochschulen würden digitale Medien noch nicht ausreichend für die Lehre genutzt und die moocs seien ein Grund, sich damit nun stärker auseinanderzusetzen. Das geht soweit, dass es in der Zeit so klingt, als würde iversity die erste Lernplattform überhaupt aufbauen (ich weiß das ist kleinlich gelesen):
Auch in Deutschland bringen sich dafür gerade mehrere Unternehmen in Stellung. Hannes Klöpper will mit seinem Start-up Iversity das europäische Coursera werden. Es wurmt ihn zwar, dass er schon vor vier Jahren die Idee für eine Lernplattform hatte und ihm die Amerikaner zuvorgekommen sind.
Fakt ist aber halt, dass iversity schon lange auf dem Markt ist. Mit einer m.E. interessanten hochschulübergreifenden Lernplattform (u.a. mit Funktionen wie social reading) und jetzt die Plattform für einen mooc weiterentwickelt. Auch die SZ hatte das nicht weiter ausdifferenziert, den zugehörigen Artikel aber mittlerweile aus dem Netz genommen. Dass es schon lange eine Vielfalt unterschiedlicher Plattformen gibt, deren Öffnung für Inhalte aus dem Netz auch schon seit Jahren vor allem von Michael Kerres gefordert wird (wie hier im cmooc Zukunft des Lernens) fällt dabei unter den Tisch. Genauso die deutschsprachigen moocs, die eben in der Mehrzahl ein didaktisch spannenderes Format fahren, als die in den Medien präsenten xmoocs. Eine gute Übersicht zu den deutschprachigen moocs sowie den verschiedenen mooc-Varianten gibt es bei e-teaching.org.
These 3 – Kooperationen werden nicht genutzt Gemeinsam entwickeln und durchführen Moocs könnten eine neue Gelegenheit sein, Lehren und Lernen gemeinsam zu planen, zu konstruieren, kooperativ zu entwickeln und zu ermöglichen. Bei den cmoocs ist das in der Tat immer wieder der Fall: Mehrere unterschiedliche Dozierende kommen zusammen, beziehen ihre Inhalte und Methoden aufeinander, machen z.T. auch Ihre Planungen transparent und reagieren (unterschiedlich) auf die Beiträge der Lernenden in Blogs, Tweets, Connect-Sitzungen. Zu dem Thema hat Claudia Bremer auch einiges auf ihrer Webseite bereitgestellt: http://www.bremer.cx/veroeffentlichung.html#mooc. Offenheit der Kurse nutzen Diese Offenheit der Kommunikation und freie Zugänglichkeit von Inhalten erlaubt verschiedene Perspektiven auf Fragen, Definitionen, Lösungen, das Einbringunen von unerwarteten Tools durch die Lernenden (vgl. mein Artikel dazu hier, S. 449-452) sowie die Begegnung mit TeilnehmerInnen, die ich in einem traditionellen Hochschulkurs vielleicht nicht treffen würden (vgl. einen Artikel von Martin Ebner (@mebner) und mir, der noch im Erscheinen ist). In xmoocs wird diese Chance für eine diverse Teilnehmerschaft kaum unterstützt. Durch amerikanisch geprägte Beispiele wird die kulturell unterschiedliche Herkunft der Teilnehmenden – ein Aspekt ihrer Diversität – missachtet. Oder versteht Ihr genug von Baseball, um Statistik-Beispiele dazu zu bearbeiten?
Viele der Inhalte sind ohnehin nur in den entsprechenden Plattform auffindbar, Peter Baumgartner dazu: „So hat z.B. Coursera seine Videos aus dem Kurs wieder gesperrt!“
Immerhin hat der coursera-Kurs „elearning and digital cultures“ (den ich angefangen aber nicht zu Ende gemacht habe) einiges an Content aus dem Netz eingebunden, z.B. ein paar sehr gut gemachte youtube-videos (zwei hatte ich auch schon in meine youtube-Playlist eingefügt). Außerdem sind die beiden von Claudia Bremer mitgestalteten und organisierten Kurse opco11 und opco12 noch immer komplett im Netz auffindbar.
Dass nämlich das alte Prinzip „eher teilen Lehrende ihre Zahnbürste, als ihren Content“ nicht mehr uneingeschränkt gilt, könnte man durch moocs unterstützen, wenn die Inhalte auch offen bleiben und nicht nach Beendigung eines Kurses nicht mehr aufrufbar sind. Eine Überlegung in dieser Richtung hat beispielsweise Sandra Schön (@sandra_schoen) in ihrem Blog mit Blick auf das Mooc-Fellowship ausgeführt.
Dass so etwas wieder dem flipped classroom helfen kann, zeigt Christian Spannagel, der zuletzt das Video eines anderen Lehrenden für seine flipped Vorlesung verwendet hat – finde den Tweet dazu aber irgendwie nicht.
These 4 – Interaktionsmöglichkeiten sind unterbelichtet Dass Moocs mehr sind als digitale Vorlesungen, weiß auch die Süddeutsche Zeitung:
[Moocs] sind interaktiv. Studenten sollen an Diskussionsforen teilnehmen, erhalten Hausarbeiten, können Prüfungen ablegen.
Diskussionsforen, Hausarbeiten und eAssessment sind aber keineswegs neu, beim eLearning findet das ja in unterschiedlichen Ausprägungen schon lange statt – zumindest dann, wenn über den Einsatz von Lernplattformen als PDF-Schleudern hinausgegangen wird.
Ein – weitgehend – neuer Interaktionsaspekt in moocs ist jedoch der massive Einsatz von Peer-Feedback. Studierende reichen ihre Hausarbeiten ein und geben dann anderen Studierenden Feedback und erhalten von anderen Studierenden Feedback. Das ist das Modell, mit dem Massen von Studierenden eine Rückmeldung gegeben werden kann. Dabei verschwinden die Lehrenden aber oft ganz aus dem Lehr-Lernprozess.
Auffällig ist, dass die Online-Kurse fast überall als „soziale Plattformen“ oder „Lernen im Zeitalter des Web 2.0“ beworben werden. Gerade in den großen Kursen ist meist genau das Gegenteil der Fall. Der Austausch läuft meist über ein klassisches Diskussionsforum, in dem nur ein kleiner Teil der Lernenden aktiv werden, ganz zu schweigen von ihren Dozenten.
Kritisiert auch Jöran Muuß-Meerholz (@jmm_hamburg). Wohlgemerkt ist dabei vor allem von den so genannten xmoocs die Rede. Claudia Bremer fasst das so zusammen, dass die Frage sei, ob man Frontalunterricht online mache. Dass die meisten xmoocs schon fast dahinter zurückfallen, haben Khalil und Ebner (2013) mit ihrer Untersuchung von Interaktionsmöglichkeiten gezeigt, indem sie bei 30 moocs Kursdokumente, Diskussionen und Interaktionstools analysierten. Ein Ergebnis ist besonders ernüchternd:
Since “student to instructor” interaction is missed in [x]MOOCs, futurestudies should be carried out to suggest more strategies and instructional activities that promote and enhance MOOCs “student to instructor” interactions. (Khalil und Ebner 2013, S. 18).
Für cmoocs habe ich mit Martin Ebner (im Erscheinen) mal analysiert, was über Twitter kommuniziert wird, da dieser Kommunikationskanal dort oft ein wichtiges Element ist.
These 5 – Präsenzhochschule und moocs passen noch nicht Moocs und die klassischen Präsenzhochschulen passen zumindest noch nicht zueinander. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass in den Medien dann teilweise Konzepte durcheinandergeworfen werden. So sieht die Zeit das Prinzip des flipped classroom wie es in der Khan Academy verfolgt werde als Grundlage für die moocs:
Khans Prinzip – auf dem inzwischen alle Moocs beruhen – ist der flipped classroom: Anstatt seinen Schülern Frontalvorträge zu halten, filmt sich der Dozent in seiner Unterrichtsstunde ab und stellt das Video ins Netz.
Nur ist weder das Einstellen von Unterrichtsvideos ein mooc, noch ein flipped classroom. Bei einem xmooc werden die Videos in eine Kursstruktur eingebunden, bei dem oft das Peerfeedback auf eingereichte Aufgaben das zentrale Interaktionselement ist. Auch die Zeit verwechselt Video-Bereitstellung, flipped classroom und moocs. Der Reiz des flipped classroom besteht aber gerade darin, dass die Präsenzzeiten besser für Interaktionen, Fragen, Problemlösungen genutzt werden können (vgl. flipped classroom ist nicht Videolernen). Bei den meisten moocs gibt es aber keine Präsenzveranstaltungen (im Sinne von face-to-face-Treffen). Wie flipped classroom und moocs thematisch zusemmengebracht werden können, zeigen Claudia Bremer (@clbremer)und Christian Spannagel (@dunkelmunkel) sehr schön hier.
These 6 – Moocs sollen von der Lehre entlasten Werden Moocs weiter vor allem und nahezu ausschließlich auf die Interaktion zwischen den Studierenden/Lernenden ausgerichtet, hat wohl Marcus Rieke, Geschäftsführer von iversity mit dem recht, was er in der Süddeutschen Zeitung äußert, nämlich dass moocs auch von der lästigen Pflicht der Lehre entlasten:
Und die Professoren könnten sich dem widmen, was die meisten sowieso viel lieber täten – nämlich hauptsächlich forschen.
In diese Richtung zu gehen, halte ich aber für einen fatalen Weg. Vielmehr sollte man/ sollten wir uns Gedanken machen:
Wie können moocs und Präsenzveranstaltungen lernförderlich miteinander verbunden werden? (Grundsätzliches zur Verbindung von Offline und Online habe ich mit zwei Kolleginnen mal hier angerissen)
Wie kann die Interaktion in den moocs (vor allem den xmoocs) methodisch vielfältiger werden?
Wie kann gewährleistet werden, dass die Lernenden auch mit der/die Prof. kommunizieren, d.h. Lehren und Lernen zusammen gedacht wird?
Wie erreichen wir eine international diverse Studierendenschaft? Gerade auch mit Blick auf die zunehmende Öffnung der Hochschulen?
Wie können Geschäftsmodelle entstehen, die nicht auf eine Kommerzialisierung von Bildung und einen Ausverkauf von Daten hinauslaufen?
Ich denke da bewegt sich bereits einiges in die Richtung. Ich habe hier vor allem noch mal vor dem Hintergrund der Berichterstattung in den Medien noch mal schauen wollen, was es zu tun gibt. Hoffe das ist mir einigermaßen gelungen, freue mich auf Kommentare und Hinweise.