Ich sehe was, das Du nicht siehst. Einsamkeit im Studium.

Ein kleiner Strukturierungsversuch, der vielleicht nicht nur mir allein bei dem Thema Einsamkeit hilft, sondern auch anderen….

Für den vergangenen Tag für die exzellente Lehre hatten wir zum zweiten Mal Studierende aufgerufen, sich für den Studienpreis zu bewerben. Wir hatten danach gefragt, welche gesellschaftlichen Probleme wichtig sind und im Studium an der TH Köln behandelt werden sollen (siehe Ausschreibung). Eine Einreichung befasst sich mit der Lebensqualität in Städten unter Bedingungen des Klimawandels (Gewinner des Tandempreises für Lehrende und Studierende). Die zweite Einreichung gab einen Impuls für das Thema Einsamkeit unter Studierenden – zu diesem Thema möchte ich ein paar Gedanken teilen. Die Gedanken hatte ich – gekürzt – am Tag selbst kurz vorgestellt.

Wir wissen, dass Einsamkeit im Studium  ein enorm wichtiges Thema ist. So spricht die Soziologin Jutta Allmendinger, ehemalige Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, in einem Interview im Juni 2025 im Magazin des Deutschen Studierendenwerks davon, dass an den Hochschulen der Gruppenzusammenhang verloren gegangen sei und sich die Corona-Einsamkeit fortsetze, Universitäten sollten wieder stärker auf Gemeinschaft setzen.

Einsamkeit ist aber auch erkenntnistheoretisch bedeutsam: Ohne eine persönliche, menschliche Wahrnehmung durch andere, kann man sich selbst nicht oder zumindest schlecht erkennen (Metabene hat dazu eine sehr schöne Tuschezeichnung, die mit dem Spiel „Ich sehe was, das Du nicht siehst“ arbeitet. Leider noch nicht online). Strukturiert man das Thema Einsamkeit für den Hochschulkontext, kann man sich vielleicht in drei Ebenen nähern:

  1. Einsamkeit als elementare Hürde für die Lehr- und Lernprozesse und für ein erfolgreiches Studium allgemein:
  2. Einsamkeit als ein Gegensatz zu dem, was ein Kern des Hochschulstudiums ist: Sozialisation in einen akademischen Habitus, in das Wissenschaftssystem, das geht nicht ohne andere Menschen. So gab es bspw. 2016 an der TH Köln den Lehrpreis unter dem Motto „Digital und sozial Lehren und Lernen mit Netz“
  3. Persönliche und gesellschaftliche Auswirkungen von Einsamkeit
  4. Inner Development Goals und Mental Health als Konzepte mit Bezug zu Einsamkeit

Etwas ausführlicher: Warum ist Einsamkeit erstens für Lehr- und Lernprozesse wichtig? Beispielsweise ist soziale Einbindung nach der Motivationstheorie von Deci und Ryan ein wichtiger Faktor für Motivation: Motiviertes Lernen ist schwierig, wenn Studierende sich als sozial isoliert wahrnehmen. Für Lehrveranstaltungen gibt es viele einfache Methoden, mit denen man unterstützen kann, dass Studierende sich kennenlernen und miteinander ins Gespräch kommen. Die meisten sind vielleicht bekannt, auf jeden Fall sind diese Methoden an mehreren Stellen im Netz gut beschrieben: Murmelgruppen / Buzz-Feed, Think-Pair-Share, Gruppenpuzzle, insgesamt Paar- oder Gruppenarbeit; manche didaktischen Ansätze sortieren auch die Planung oder Methoden nach der Sozialform.

(Fallsstricke der Gruppenarbeit, von Constructive Amusement, CCBYND, http://www.constructive-amusement.de/comics/previous/13)

Aber auch das Leitungsverhalten in einer Lehrveranstaltung ist ein wichtiger Faktor: Sprechen Sie z .B. Ihre Studierenden mit Namen an, moderieren Sie Diskussionen so, dass sich Beiträge aufeinander beziehen lassen oder installieren Sie Situationen, in denen sich Studierende gegenseitig unterstützen (z .B. durch kollegiale Beratung).

Bei einem Hochschulstudium geht es zweitens immer auch darum, Teil einer Gemeinschaft zu werden, als Student*in und Wissenschaftler*in in einer bestimmten Art auf die Welt, auf Probleme und Lösungen zu blicken, fachlich sehr unterschiedlich, aber immer wissenschaftlich. An der TH Köln spricht man u.a. auch deshalb von der universitas, von der Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden. Der Wissenschaftsrat betont in seinem Papier von 2022 (Empfehlungen für eine zukunftsfähige Ausgestaltung von Studium und Lehre) die Sozialisation in die Wissenschaft und empfiehlt dafür eine bessere Betreuung, bspw. mit einem akademischen Mentorat (S. 33).

Dass Einsamkeit viertens für ein soziales Wesen, wie den Menschen persönlich gravierende Auswirkungen hat, brauche ich vermutlich nicht extra zu betonen, vielleicht trotzdem so viel: Wir wissen, dass soziale Kontakte eine wichtige Variable für Glück, Zufriedenheit aber auch für die Lebenserwartung sind – hier argumentiere ich allerding als Laie. Wegen der möglicherweise fatalen Auswirkungen von Einsamkeit sollte die an Hochschulen verfügbare psychosoziale Beratung immer auch in den Blick genommen werden.

Gesellschaftlich ist Einsamkeit natürlich nicht zu unterschätzen. Nicht nur spezifisch in der Lehre wird immer wieder die Gemeinsamkeit, das gemeinsame Vorgehen als Gegenbewegung zu dem Forschen im Elfenbeinturm, zum Genie oder zum Lehrstuhlprinzip in dem ein Prof. angeblich alleine viel bewirken könne, gesehen. Auch gerade in der Transformation braucht es gemeinsame Anstrengungen, gemeinsame Lösungen, besteht die Gefahr, dass Gruppen oder Personen ausgegrenzt oder abgehängt werden. Hiermit muss man sich auseinandersetzen, wenn gesellschaftliche Veränderungen gestaltet werden sollen.

Einschub: Was mit dem Ideal der Forschung in Einsamkeit und Freiheit gemeint ist, könnte man vielleicht auch (kritisch) ausführen.

Im Konzept der Inner Development Goals (IDG) wird fünftens über die Beziehung zu sich selbst (1) und die Fürsorge für andere und die Welt (3) sehr deutlich, dass wir uns mit Einsamkeit auseinandersetzen sollten. Auch in den anderen Dimensionen der IDG finden sich Aspekte, die mit Einsamkeit nicht gut zu vereinbaren sind. Allerspätestens seit der Coronapandemie ist sehr deutlich geworden, dass Mental Health eine Basis für Lehr- und Lernprozesse sind. So hat bspw. auch das Hochschulforum Digitalisierung das Thema Mental Health in einem Diskussionspapier aufgegriffen, in dem der Einfluss der Hochschulen auf die (psychische) Gesundheit der Studierenden diskutiert und konstatiert wird, dass es Studierenden laut Studien schlechter als noch vor 10 Jahren geht.

In der kurzen Auseinandersetzung mit dem Thema bin ich außerdem darauf gestoßen, dass an der Technischen Hochschule Augsburg  aus einer studentischen Initiative eine App  gegen Einsamkeit im Studium entwickelt werden soll. Eine dazugehörige Befragung findet sich hier https://www.uni-jena.de/12620/bundesweite-studierendenbefragungen bzw. hier direkt zur Umfrage: https://www.survio.com/survey/d/O3M8N9R6X3J6L9Z9R
Hoffentlich hören wir noch davon.

Welche Ansätze gegen Einsamkeit im Studium kennt Ihr? Welche Erfahrungen macht Ihr mit dem Thema? Was für Ergänzungen habt Ihr / was seht Ihr anders?

Weiteres zum Thema: